Der Klimawandel und die zunehmende Ressourcenverknappung stellen die Bauwirtschaft vor wachsende Herausforderungen. Als einer der ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren ist das Bauwesen gefordert, nachhaltigere Ansätze zu entwickeln, um den ökologischen Fußabdruck von Bauprojekten zu minimieren. Nachhaltiges Bauen zielt darauf ab, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in allen Phasen eines Bauwerks zu berücksichtigen. Neben der effizienten Nutzung von Energie und Ressourcen steht insbesondere die Reduktion der Treibhausgasemissionen (THG) im Fokus.
In diesem Artikel werden die verschiedenen Ansätze zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Vergabeverfahren von Bauleistungen beleuchtet. Insbesondere die Themen Kreislaufwirtschaft und die Abbildung des Treibhauspotenzials sowie die Klimafolgekosten in Form eines CO2e -Schattenpreises werden untersucht. Eine besondere Rolle spielt die Abgrenzung zwischen der Ökobilanzierung auf Seiten des Auftraggebers und den CO2e -Äquivalenten auf Seiten des Auftragnehmers.
Nachhaltiges Bauen beschreibt einen integralen Planungsansatz, bei dem die Umweltverträglichkeit eines Gebäudes über dessen gesamten Lebenszyklus im Vordergrund steht. Dies umfasst sowohl den Materialeinsatz, die Energieeffizienz während der Nutzung, als auch die Entsorgung oder Wiederverwertung am Ende der Nutzungsdauer. Ziel ist es, negative Umweltauswirkungen zu minimieren und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Damit einher gehen Aspekte wie die Reduktion von CO2-Emissionen, die Verbesserung der Energieeffizienz sowie die Einbindung von erneuerbaren Energien.
Quelle: Ruiniert der Hausbau das Klima? – ibu.de
Die Bauindustrie ist für etwa 38 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, wobei insbesondere der Energieverbrauch für Herstellung, Transport und Verarbeitung von Baustoffen eine wesentliche Rolle spielt. Die wesentlichen Materialien sind Beton bzw. Zement. Der Einsatz umweltfreundlicher Baustoffe, die Förderung von Recyclingprozessen sowie die Minimierung von Energieaufwand während des Bauprozesses sind daher zentrale Herausforderungen.
Um diesen zu begegnen, sind innovative Vergabeverfahren erforderlich, bei denen ökologische Eigenschaften als zentrale Bewertungskriterien berücksichtigt werden. Hierbei spielen Ökobilanzen, Lebenszyklusanalysen (LCA) und die Bestimmung von CO2e -Äquivalenten eine immer größere Rolle.
Das Vergabeverfahren im Bauwesen ist ein komplexer Prozess, der sich über mehrere Phasen erstreckt, von der Planungs- und Ausschreibungsphase über die Angebotsbewertung bis hin zur Auftragsvergabe. Traditionell liegt der Fokus auf ökonomischen Aspekten wie dem Preis-Leistungs-Verhältnis, doch in jüngerer Zeit werden Nachhaltigkeitskriterien vermehrt in die Bewertung integriert. Hierbei kommen verstärkt ökologische Aspekte als Zuschlagskriterien zur Anwendung, die darauf abzielen, nachhaltigere Bauleistungen zu fördern.
Nachhaltigkeitskriterien im Vergabeverfahren können auf unterschiedliche Weise integriert werden. So können ökologische Aspekte, wie die Verwendung von recycelbaren Materialien, die Energieeffizienz des Bauwerks oder der Einsatz von emissionsarmen Baustoffen, als Zuschlagskriterien in das Verfahren aufgenommen werden. Besonders relevant ist die Berücksichtigung des CO2-Fußabdrucks eines Bauprojekts, der sowohl die Herstellungsphase der Baustoffe als auch den Bau selbst umfasst.
Ein viel diskutierter Ansatz besteht in der Einführung eines sogenannten CO2e-Schattenpreises, der die Klimafolgekosten eines Bauprojekts monetär bewertet und somit als zusätzliches Kriterium in der Angebotsbewertung dient.
Bild: SOFTTECH, AI-generiert
Das Treibhauspotenzial eines Bauprojekts wird durch die Menge der emittierten Treibhausgase über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes bestimmt. Diese Berechnung erfolgt in der Regel durch eine Ökobilanz (LCA), die den Energie- und Materialeinsatz über alle Phasen hinweg erfasst. Insbesondere die Verwendung von Baumaterialien, die Produktion von Baustoffen und der Energieverbrauch während des Bauprozesses sind entscheidende Faktoren.
Die CO2e-Äquivalente, die den globalen Erwärmungseffekt verschiedener Treibhausgase in eine vergleichbare Einheit umrechnen, spielen hierbei eine zentrale Rolle. Ein Schlüsselansatz ist die systematische Bewertung der CO2-Emissionen nach DIN EN 15978, einer Norm für die Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden.
Der CO2-Schattenpreis stellt eine monetäre Bewertung der verursachten Treibhausgasemissionen dar und ermöglicht es, die Klimakosten eines Bauprojekts in die Gesamtkostenbewertung einzubeziehen. Er spiegelt die externen Kosten wider, die durch die Emission von Treibhausgasen entstehen und in der klassischen Kostenrechnung häufig unberücksichtigt bleiben.
Durch die Integration eines CO2-Schattenpreises können Angebote mit niedrigeren Emissionen im Rahmen des Vergabeverfahrens bevorzugt werden, was den Anreiz zur Umsetzung klimaschonender Bauprojekte erhöhen könnte.
In diesem Zusammenhang könnten außerdem die Bieterverfahren dahingehend angepasst werden, dass mögliche Technologiekompetenzen der einzelnen Unternehmen besser genutzt und in Form von Nebenangeboten eingebracht werden können.
Auftraggeber und Auftragnehmer haben unterschiedliche Rollen und Verantwortlichkeiten bei der Berechnung der CO2-Bilanz. Der Auftraggeber ist in der Regel für die übergeordnete Ökobilanzierung des gesamten Bauprojekts verantwortlich, während der Auftragnehmer spezifische Angaben zu den von ihm verursachten CO2-Emissionen (in Form von CO2-Äquivalenten) bereitstellt. Diese Differenzierung ist wichtig, um klare Verantwortlichkeiten und Erwartungen im Rahmen der Projektdurchführung festzulegen. Bei der Nachweisführung und Bilanzierung könnte es wichtig sein, Aufwand und Nutzen abzuwägen und einen praktikablen Mittelweg zu finden, der einerseits die relevanten Daten zur Verfügung stellt und andererseits keine überhöhte Bürokratie bedeutet.
Vertragliche Regelungen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten, insbesondere in Bezug auf das Treibhauspotenzial, werden künftig vermutlich eine zentrale Rolle in der Bauvergabe spielen. Die Einhaltung der vertraglich zugesicherten Klimaparameter, wie etwa der maximal zulässigen CO2-Emissionen, ist eine wesentliche Leistungspflicht des Auftragnehmers.
Um sicherzustellen, dass der Auftragnehmer diese Verpflichtungen erfüllt, sind klare Leistungsbeschreibungen sowie technische Anforderungen im Vertrag festzuhalten. Dies kann etwa durch den Einsatz emissionsarmer Baumaterialien oder energieeffizienter Bauverfahren erreicht werden.
Vertragsstrafen und Schadensersatzansprüche bei Nichteinhaltung der vereinbarten Klimaparameter sind essenziell, um die Ernsthaftigkeit der Nachhaltigkeitsziele zu unterstreichen. Diese Sanktionen werden insbesondere dann relevant, wenn das Nichterreichen der Nachhaltigkeitsziele zu schwerwiegenden Konsequenzen führt, wie etwa dem Verlust einer angestrebten QNG-Zertifizierung (Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude).
Bild: SOFTTECH, AI-generiert
Eine wichtige Motivation für die Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele ist die Erlangung von Umweltzertifikaten wie dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG). Diese Zertifikate werden nur dann verliehen, wenn bestimmte ökologische Standards, darunter die Begrenzung von CO2-Emissionen, eingehalten werden. Der Verlust eines solchen Zertifikats kann erhebliche finanzielle Einbußen für den Auftraggeber zur Folge haben, weshalb die vertragliche Absicherung dieser Anforderungen von großer Bedeutung ist.
Building Information Modeling (BIM) hat sich als zentrales Planungs- und Steuerungstool im Bauwesen etabliert. Im Kontext des nachhaltigen Bauens bietet BIM, insbesondere die sogenannte 6D-Dimension, die Möglichkeit, Klimadaten und Umweltauswirkungen in den Planungsprozess zu integrieren. BIM ermöglicht eine umfassende Analyse des Lebenszyklus eines Bauwerks und hilft dabei, CO2-Emissionen frühzeitig zu identifizieren und zu reduzieren.
Moderne AVA-Softwarelösungen (Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung) sollten deshalb künftig die Möglichkeit bieten, Nachhaltigkeitsaspekte, wie etwa CO2-Äquivalente, auf Teilleistungsebene und sogar auf Teilmengenebene abzubilden. Dies ermöglicht eine detaillierte Bewertung der Emissionswerte im Rahmen der Angebotsverfahren. Weiterführend kann die Einbindung von Datenbanken wie der ÖKOBAUDAT in AVA-Softwarelösungen großes Potenzial bieten, um ökologische Kriterien in die Bauplanung und den AVA-Prozess zu integrieren und nachzuverfolgen.
In AVA-Programmen ließen sich die CO2-Daten etwa analog zu Kosteninformationen bei einem Gebäude bauteilorientiert zusammenstellen und aufsummieren. Realisierbar wäre so eine Idee über ein Feature ähnlich dem Preisspiegel innerhalb einer AVA-Software. Nur, dass hier keine Kosten von Baumaterialien, sondern CO2-Daten zusammengezählt werden.
Ein anderer Anwendungsfall: Ein Planungsbüro, Bauherr oder Investor möchte diejenigen Baustoffe ermitteln, die die größten Emissionen verursachen und somit das größte Optimierungspotenzial mit sich bringen. Ziel ist, diese gegen alternative Materialien auszutauschen. In der AVA-Software AVANTI von SOFTTECH gibt es beispielsweise die so genannte ABC-Analyse. Diese identifiziert schnell und sicher diejenigen Baustoffe, die die Baukosten in die Höhe treiben. Eine vergleichbare Auswertung wäre für CO2-Anteile unterschiedlicher Materialien in einem solchen Programm realisierbar.
Bei einer Mehrschichtwand ließen sich mit einem derartigen Vorgehen die CO2-Werte der einzelnen Schichten darstellen und innerhalb der AVA ein konkreter Richtwert ermitteln. Mit Hilfe solcher speziellen Features innerhalb von Softwareprogrammen für AVA und Projektsteuerung wäre ein Szenario, wie der HDB es beschrieben hat, durchaus denkbar.
In der Praxis haben einige Vorreiterprojekte bereits gezeigt, dass eine umfassende Integration von CO2-Daten in den Planungs- und Vergabeprozess möglich ist. Insbesondere bei größeren Infrastrukturprojekten, bei denen die Emissionen einen entscheidenden Faktor darstellen, wird der CO2-Schattenpreis zunehmend als Zuschlagskriterium eingesetzt.
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten im Bauwesen, insbesondere die Berücksichtigung des Treibhauspotenzials und der CO2-Äquivalente, ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Bauwirtschaft. Der Einsatz von CO2-Schattenpreisen im Vergabeverfahren bietet eine praktikable Möglichkeit, die Klimafolgekosten eines Projekts sichtbar zu machen und emissionsärmere Bauweisen zu fördern.
Zukünftige Entwicklungen, insbesondere im Bereich der BIM-Technologie und der AVA-Softwareprogramme, werden dazu beitragen, die Integration von Klimadaten noch weiter zu verbessern und somit eine klimafreundlichere Baupraxis zu ermöglichen. Die Bauindustrie steht hier am Anfang eines tiefgreifenden Transformationsprozesses, der mittelfristig über technologische Innovationen und rechtliche Anpassungen weiter vorangetrieben wird.
Ich habe am KIT in Karlsruhe Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Baubetrieb studiert und meine Diplomarbeit bei der Fraport AG absolviert. Bei der SOFTTECH GmbH treibe ich seit Januar 2007 Entwicklungsprozesse voran.
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